Im Leben begegnen uns immer wieder Hindernisse. Das gehört zu Wachstum und Entwicklung einfach dazu. Schon als Kinder lernen wir auch durch die Stolpersteine, die uns das Leben buchstäblich vor die Füße legt. Daneben gibt es aber immer wieder bestimmte Muster, die sich wie ein roter Faden aus der Vergangenheit bis in unser Leben ziehen. In Familienaufstellungen zeigen sich da oft ganz unerwartete Zusammenhänge. Vielleicht ahnst du auch, dass die Wurzeln mancher deiner Fragen eher in den Schicksalen früherer Generationen zu suchen sind.
„Das Vergangene ist nicht tot, es ist nicht einmal vergangen“
schrieb schon William Faulkner und Christa Wolf ergänzte: „Wir trennen uns davon ab und stellen uns fremd.“
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Das gemeinsame Erbe
Susanne* hat mit ihrer Schwester und ihrem Cousin ein Haus geerbt. Eigentlich sollte das Haus jetzt verkauft und der Erlös aufgeteilt werden. Plötzlich und für Susanne ganz unerwartet entsteht jedoch Streit um den geplanten Verkauf. Sie hat das Gefühl, dass es dabei gar nicht wirklich um das Haus geht. Sie vermutet, dass Eifersucht und alte Verletzungen aus der Vergangenheit nun ans Licht kommen. Jetzt möchte sie sich das gerne genauer anschauen, um heraus zu finden, ob sie etwas tun kann.
Der Betrug
In der Familienaufstellung zeigt sich, dass es auch in früheren Generationen schon zu Erbstreitigkeiten in der Familie gekommen ist. Damals ist einfach unter den Tisch gekehrt worden, dass der Urgroßonkel Harald von seinem jüngeren Bruder Arnold um sein Erbe betrogen wurde. „Um des lieben Friedens willen“ wurde nie darüber gesprochen. Doch der Konflikt ist unterschwellig von Generation zu Generation weiter gegeben worden. In der Aufstellung steht Susanne schließlich ihrem Urgroßonkel gegenüber. Erst in der tiefen Anerkennung des Unrechts, das ihm damals zugefügt wurden, kann der Urgroßonkel endlich in Frieden loslassen. Susanne kann auch den Konflikt und die Schuld an den Platz in der Vergangenheit zurück geben, wo sie hin gehören.
Wenn Unrecht als Unrecht anerkannt wird
Dabei ist in der Aufstellung sofort zu spüren, wie sich das ganze Familiensystem endlich mehr entspannt. Auch Harald findet jetzt wieder zurück zu dem Platz neben seinem Bruder Arnold. Vergangenes Unrecht kann niemals ungeschehen gemacht werden. Wenn es aber anerkannt wird – „ich sehe jetzt, dir wurde großes Unrecht zugefügt, das war sehr schwer für dich“, wird der Betroffene in seinem Leid gesehen und gewürdigt und kann im besten Fall endlich loslassen.
Der Verkauf
Einige Wochen später rief mich Susanne an und erzählte, dass das Haus jetzt verkauft sei. Es hätte zwar noch ein paar kleinere Unstimmigkeiten gegeben, die konnten aber leicht ausgeräumt werden. Letztendlich wäre der ganze Verkauf dann ziemlich friedlich und zur Zufriedenheit aller über die Bühne gegangen.
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Die männliche Ahnenreihe in der Aufstellung
Jan* möchte gerne seine männliche Ahnenreihe aufstellen. Bei seiner Auseinandersetzung mit sich selbst hat er auch ein bisschen Ahnenforschung betrieben. Dabei ist ihm aufgefallen, dass es ein bestimmtes Muster gibt, dass sich durch durch seine väterliche Ahnenreihe zieht: „In meiner väterlichen Linie gibt es durchweg schwache Männer und starke Frauen“. Jan selber hat das Gefühl, er finde überhaupt keinen Zugang zu seiner männlichen Kraft, er spürt sehr viel Ablehnung dazu in sich.
Die entmenschlichte Kraft
In der Familienaufstellung steht schließlich sein Großvater Ernst am Rande des Aufstellungsfeldes. Der war als sehr junger Mann 1944 noch eingezogen worden und hat als Soldat im 2. Weltkriegs Schreckliches gesehen, erlebt und auch selber getan. In der Aufstellung wird deutlich, wie die Erfahrung von männlicher Kraft in seiner pervertierten Form als Entmenschlichung, Gewalt und Zerstörung tiefe Narben in ihm hinterlassen hat. Als Überlebender ist er wie so viele gebrochen aus dem Krieg zurück gekehrt. In der gefühlten Nähe zu den ungezählten toten Kameraden hat er jedoch nie wirklich zurück ins Leben gefunden.
Die Wunde wird weiter gereicht
So wächst sein Sohn Heinz, der Vater von Jan, auf mit einem Vater, der nie wirklich anwesend ist. Der immer nur ein vager Schatten eines Mannes bleibt. Einzig in den wiederholten jähzornigen Ausbrüchen Frau und Kindern gegenüber zeigt sich sowohl seine Verletzung als auch in entstellter Form seine eigentliche Kraft. Im Sohn Heinz hat das eine tiefe unbewusste Ablehnung gegen die eigene kraftvolle Männlichkeit bewirkt. Diese Ablehnung und der verschütteten Zugang zur eigenen Männlichkeit sind vom Großvater über den Vater auch an Jan weitergegeben worden.
Anerkennen, was gewesen ist
In der Aufstellung braucht es viel Gesehen Werden und Würdigung des unermesslichen Leids, dass der Großvater sowohl mit ansehen als auch selber erleiden musste. Erst dann kann er sich im Laufe des Prozesses seinem Sohn Heinz erstmals zuwenden. Auch hier wieder – es geht darum, anzuerkennen, was gewesen ist. Und auch das zu würdigen, was nicht sein konnte, was gefehlt hat. Ein sehr feiner behutsamer Prozess des gegenseitigen Sehens und Gesehen Werdens beginnt und setzt sich langsam fort bis zum Enkel Jan. Auch hier geht es nicht darum, Geschehenes „besser“ zu machen Es geht darum, dem Schmerz z.B. darüber, dass der Vater eigentlich gefehlt hat, einen guten Platz zu geben und auch dem des Vaters, es nicht besser gekonnt zu haben.
Das Ritual in der Aufstellung
Zum Schluss der Familienaufstellung stehen hinter Jan sowohl seine männliche als auch seine weibliche Kraft als übergeordnete Prinzipien des Lebens. Dazu kommt die Erkenntnis, dass das eine ohne das andere unvollständig ist und beides zu ihm gehört.
In einem Abschlussritual haben wir schließlich seine ganze männliche Ahnenlinie hinter ihm aufgestellt – Vater, Großvater, Urgroßvater etc. in langer Reihe hinter ihm
Für Jan war die Möglichkeit, die eigenen Ahnenreihe hinter sich zu spüren, eine besonders eindringliche und kraftvolle Erfahrung. Aber auch die Stellvertreter konnten tief in das Geschehen eintauchen. Alle, die in dieser Reihe standen, haben die davon ausgehende Kraft in sich gespürt und aufgenommen. In einem solchen Ritual erleben wir, welcher starke Strom von Kraft, Energie und Leben von denen zu uns strömt, die vor uns waren .
Das Ritual der Ahnenlinie geht auch mit der weiblichen Ahnenreihe.
So vielfältig wie das Leben selbst
Ich hoffe, meine beiden Beispiele haben dir einen kleinen Einblick in die Bandbreite der Aufstellungsarbeit vermitteln können. Die Fragen, mit denen wir in eine Aufstellung gehen, sind so unterschiedlich wie die jeweiligen Menschen und so vielfältig wie das Leben selbst. Allen gemeinsam ist der Wunsch, die tieferen Aspekte von schwierigen Themen in unserem Leben zu erforschen und wo möglich zu verändern.